Erinnerungen
an die Dorfschule
Hermann Bauer
Am 1. August
1976, mit Beginn des neuen Schuljahres, wurden die letzten kleinen Schulen im
Kreise Ahrweiler aufgelöst.
Seit dieser
Zeit sind Kinder und Lehrer bei Schulbeginn und Schulschluß
auf Achse. Sogar die Kleinsten sind zur frühesten Stunde schon wach; so
verlangt es der Omnibusplan.
Die gesunde
Vorbereitung zum Unterricht, ein Schulweg durch die frische Luft, gibt es nicht
mehr. Statt dessen zittert das strapazierte Nervensystem von dem
Motorengeräusch, dem Kindergeschrei und der Radiomusik weiter, vereinigt sich
mit dem Spektakel auf dem Hof und flaut bei günstigen Fallen mit
Unterrichtsbeginn ab. Sogar da, wo noch gefahrlose Wege aus zumutbarer Entfernung
als günstige Voraussetzung für. eiir gedeihliches
Lehren und. Lernen gegeben sind, werden die Kinder schon in frühester
Morgenstunde dem Lärmstreß ausgesetzt.
Die Busse
treffen sich jeden Morgen im Schulzentrum und die Einheimischen mit den
Fahrschülern im Klassenraum des jeweiligen Lernjahres. Ihre Kameraden von
gestern sind in anderen Räumen. Das ist jetzt eine ganz andere Schule, groß,
mit vielen Sälen und Sonderräumen, ausgestattet mit den modernsten Lehr- und
Lernmitteln. Die Fachlehrer sind auf zwei bis drei Fächer spezialisiert und
bieten ihr Wissen mit den neuesten Hilfsmitteln zur Aneignung an. War die
Landschule wirklich so veraltet?
Die innere
Struktur der Landschule
Nach dem ersten
Weltkrieg hat der Arbeitsschulgedanke die alte Lernschule verdrängt. In der
Landschule fand die Selbsttätigkeit der Kinder offene Türen.
Ministerialdirektor Kaestner vom preußischen
Kultusministerium in Berlin berichtete Ende der 20er Jahren, über seine
Eindrücke von den Landschulen: „Wir haben vom Ministerium aus in sehr vielen
und erfreulichen Fällen beobachten können, daß der zielbewußte Landlehrer... eine Geschlossenheit und eine
Höhe der äußeren und inneren Bildung erreicht hatte, die dem Bildungsstand
einer reich gegliederten und äußerlich bevorzugten Stadtschule mit guten
Lehrern zum mindesten nicht nachstand." Für uns ist besonders erfreulich, daß die gleiche Kommission und leitende Beamte der
Schulabteilung der Bezirksregierung in Koblenz bei einer Besichtigungsfahrt
durch den damaligen Kreis Adenau zu gleichen Feststellungen kamen.
Nach dem
Handbuch der Lehrenden an den Volksschulen im Regierungsbezirk Koblenz, 1960,
waren im Kreise Ahrweiler im ganzen 103 Schulstellen, von denen 66 einklassig
und 30 zweiklassig waren. Unter den zweiklassigen waren 6 evangelische Schulen mit den größeren
katholischen in demselben Schulgebäude untergebracht. In Oberwinter war im
gegenseitigen Einvernehmen ein gemeinsamer Raum für Lehr- und Lernmittel, auch
war hier in manchen Fällen die konfessionelle Enge bereits durchbrochen.
Für die spätere
Forschung ist es wichtig zu wissen, daß in der
NS-Zeit die Schulen Gemeinschaftsschulen waren, daß
nach dem Kriege alle Schulen wieder einen konfessionellen Charakter bekamen,
Ende der 60er Jahre die christliche Gemeinschaftsschule Regelschule wurde. In
einer einklassigen Schule unterrichtet der Lehrer alle 8 Jahrgänge in einem
Raum, doch nur bei ganz kleinen Schulen zur gleichen Zeit. Der Unterricht in
der wenig gegliederten Schule war zunächst eine Frage der Organisation, setzte
eine gewissenhafte Vorbereitung des Lehrers voraus, um als Ergebnis des
Unterrichts den Schülern eine sinnvolle Stillarbeit anzubieten. Für das spätere
Lernen war es auch sehr von Nutzen, wenn die Jüngeren bei der mündlichen Arbeit
der Älteren vorwitzig „stipitzten" und umgekehrt
die Älteren sich unbemerkt in die Arbeit der Jüngeren einschalteten, einmal, um
selbst zu repetieren, andererseits, um eine Lehranweisung zu erhalten, als
Helfer den Stoff einzuüben. Das war soziale Nachbarschaftshilfe, und eine
Erziehung der Großen zur Ehrfurcht vor den. Kleinen. Diese Kleinen kamen ja
meist erst nach der 2. Unterrichtsstunde, so daß sich
dann die Großen leichter in den ersten Leseunterricht, in das Schreiben und
Rechnen einschalten konnten, und an geeigneter Stelle mit dem Üben begannen.
Das schloß auch nicht aus, daß
der Kamerad dem Kameraden, der mit seiner Aufgabe nicht zu Rande kam, erklärend
und helfend beisprang, und das Helfersystem sich auf alle Jahrgänge ausdehnte.
So war das wiederholende Einführen in allen Lernstufen aufwärts und das
fortwährende Wiederholen in allen Altersstufen abwärts ein Charakteristikum der
kleinen Schulen. Ich bin der letzte, der behaupten wollte, daß
diese vollendete Art in allen kleinen Schulen ausgebildet war, und daß die „Musterschulen" immer in der gleichen Höhe
schwebten. So etwas gab es nicht, und so etwas gibt es auch heute nicht. Die
Unterrichtszeit war bis in die dreißiger Jahre von 8—12 Uhr, im Winter von 8.30
bis 12 Uhr, nachmittags von 14—16 Uhr außer mittwochs und samstags, dazu gab
der Lehrer an einigen Schulen zweimal in der Woche Unterricht in der ländlichen
Fortbildungsschule von 18—21 Uhr, Ich, der ich das Landleben nur Von der
romantischen Seite kannte, verpflichtete mir ehemalige Absolventen der
landwirtschaftlichen Fachschule in Adenau, bereitete mit ihnen einen
einleitenden Vortrag vor. Eine Aussprache dann zu leiten, war kein Kunststück
mehr.
Die hier
skizzenhaft dargestellte Zeiteinteilung war keine vorgeschriebene Norm; es gab
geradezu Künstler in der inneren Ausgestaltung der kleinen Landschule. Man kann
nicht leugnen, daß vielen das Land und die Einsamkeit
bitter auf der Seele lag, daß
sie sich von der Welt wie abgeschrieben vorkamen. Die Umstellung von dem
kulturellen Leben der Stadt und ihrem vielfältigen Angebot gerade in den
berühmten 20er Jahren kam für manche zu plötzlich. Als in den 30er Jahren die
Musen vom Marschtritt der Kolonnen in den Hintergrund gedrängt wurden, drohten
die braunen Funktionäre mit einer Versetzung auf das Land, um den Widerstand
gegen die kirchenfeindliche Politik zu brechen.
Mit viel Liebe
und Einfühlungsvermögen wurde die Zusammengehörigkeit
der Landschullehrer und deren Familien gepflegt. Es gab keinen Geburtstag oder
Namenstag meist innerhalb eines Pfarrsprengels, der nicht mit einem ausgedehnten
Fest gefeiert wurde. Um den 1. eines jeden Monats, wenn man das Gehalt auf der
Amtskasse abholte, gab es ein feucht-fröhliches Treffen der gesamten Amtslehrerschaft, wobei die Freunde eines zünftigen Skats
am längsten aushielten. Uns haben die Waldwege zu jeder Tages- und Nachtzeit
gesehen. Gefahren auf den Straßen gab es nicht, da nur von Hause aus gut
Dotierte sich ein Auto leisten konnten. Zum Glück gab es kein Fernsehen, das
die Gemeinschaft störte. Auch außerhalb der festlichen Zusammenkünfte standen
die Lehrerwohnungen gastfrei offen.
Das Dorf als
Quelle der ländlichen Kultur
Die Dorfschule
war eingebaut in den Rhythmus des dörflichen Lebens und empfing von hier aus
ihre Kraft. Wesentlich für das Bildungsgut der Landschule war es. „daß es der heimatlichen Natur und dem heimatlichen
Kulturgut entstammt" (Kreuzberg). „Das deutsche Dorf (aber) ist eine
stetig aus dem ureigensten Wesen des Volkes sich erneuernde Kulturfrucht und
Kulturtat" (Schreiber). Trotz guter Leistungen der Schulen war der Ruf
nach mehr Wissen und besserer Bildung immer hörbare? geworden. Oje Schulen in ihrer
jetzigen StrukturTronnten den AnfordeV
runge.n nicht mehr gerecht werden. In dieser
Situation entstanden dem Lande Persönlichkeiten von Format, die theoretisch und
praktisch die Krise, die sich als eine tiefgehende Veränderung im
wirtschaftlichen, geistigen und religiösen Leben des Landvolkes zeigte
anzupacken wußten. Nicht selten führte die
Umschichtung zu einer Preisgabe, manchmal sogar zu einer Vernichtung des einst
so hoch geschätzten und zäh festgehaltenen Erbes. Die Folge war eine Verödung,
eine geistige Entleerung des Landlebens, Landmüdigkeit und Landflucht. Der
innerlich entwurzelte Mensch litt unter dem Gefühl der Rückständigkeit,
bestaunte voll Verehrung alles Städtische und Moderne und öffnete ohne
Widerstand und Selbstbewußtsein den zersetzenden
Elementen Tür und Tor.
In einer Dorfschule
Foto: Kreisbildstelle
Um den
Bildungsstand zu heben, schlug Peter Josef Kreuzberg vor, die benachbarten
wenig gegliederten Schulen zu einer mehrklassigen
Sammelschule zusammenzufassen.
Jedes Dorf
sollte nach Möglichkeit seine Grundschule behalten, alle Schulen mit ein oder
zwei Jahrgängen der Ober- und Mittelstufe belegt werden. So behalte jede Schule
ihr Dorf als Quelle der Kultur, und jedes Dorf seine Schule als geistigen
Mittelpunkt. Dieser Plan hätte zu einer organischen Weiterentwicklung der
Landschule geführt. Franz Grafen versuchte durch die ländliche
Fortbildungsschule das Bildungsangebot zu erweitern und der Landnot zu steuern.
:
Der Direktor
der Landwirtschaftsschule in Adenau, Landwirtschaftsrat Schälte, hielt in
regelmäßigen Abständen, meist sonntags; Schulungstagungen
für Landwirte und Jungbauern ab, um sie mit den neuesten Erkenntnissen für die
Landwirtschaft bekannt zu machen. In Einzelbesprechungen mit aufgeschlossenen
Bauern wurden Musterhöfe mit vorbildlichen Stallungen gebaut, und
Versuchsfelder für zweckmäßigen Pflanzenanbau angelegt.
Begegnung
von Stadt und Land
In
landschaftlich reichen Gegenden entstanden Schullandheime und Ländschulheime.
Die Schullandheime, im Eifelraum Wiesemscheid und Aremberg, gaben neben der Möglichkeit zum Ferienaufenthalt
Kindern von Duisburg und des Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasiums in Bonn zusätzliche
Erholung, vorbereitetes Wandern, Sport und einen auf das Land mit seinen
biologischen, geschichtlichen und geologischen Besonderheiten bezogenen
Unterricht.
Das
Landschulheim war in der Regel ein Gymnasium mit Internat. Auf Unterricht und
Erziehung wurden gleichermaßen Wert gelegt. In unserem
Kreisgebiet entstand Ende der 20er, Anfang der 30er Jahre „Die Heimschule am Laacher See", ein hoffnungsvoller Anfang. Von dem
Geist des Laacher Mönchtums, von der gepflegten
Liturgie, dem Reichtum der Geschichte, der Vielseitigkeit der Laacher Flora und der klassischen Darbietung des
geologischen Formenreichtums um das Eifelmaar am Laacher
Dom waren alle Voraussetzungen eines geistig gesunden Wachstums den
Heimschülern gegeben. Das Internat• vollzog eine stetige Erziehung ohne Störung
der Außenwelt. Dem bösen Geist fiel die Schule hoch im Anfangsstadium zum
Opfer. Sie könnte heute" ein geistiges Bollwerk sein!
Für die
Gruppen, Bünde und Schulen wurden die Jugendherbergen, die damals in allen
Städten und über das Land verstreut entstanden, eine Begegnungsstätte von Stadt
und Land, ihre Entstehung im Ausland zu einer Verbrüderung der europäischen
Jugend.
Pioniere der
ländlichen Bildung
Aus der großen Zahl
der Führergestalten, die sich dfe Vertiefung und die
Erhöhung der ländlichen Kultur zur Aufgabe gestellt hatten, will ich zwei
besonders nennen, die ich persönlich gut kannte und hoch schätze: meinen
verehrten Lehrer, den späteren Schulrat im Kreise St. Goar, Peter Josef
Kreuzberg und den Schulrat des Kreises Adenau und später des Kreises Mayen, Franz Grafen.
Peter Josef
Kreuzberg hat durch seine wissenschaftlichen und methodischen Werke auch die
Lehrer unseres Bezirks beeinflußt. Er selbst stammte
aus kleinen bäuerlichen Verhältnissen und gehörte mit seinen 160
Veröffentlichungen zu den schöpferischen Schriftstellern unseres Jahrhunderts.
Ein Mann mit so
viel dienstlicher und schriftstellerischer Arbeit, mit der Pflege eines großen,
vorbildlichen Gartens^ hatte für jeden Zeit, der ihn besuchte. ,,Was den
Menschen und Pädagogen Kreuzberg auszeichnet, war über seine hohen menschlichen
Qualitäten hinaus — und in engster Verbindung damit — die Fähigkeit, ein Leben
im Geiste führen, mit geistigen und künstlerischen Dingen immer vertrauter
werden sowie aus einer wurzelhaften Religiosität Freude an geistiger Arbeit und
Leistungen wecken zu können," Freizeittagungen
für junge Lehrer führte er an den verschiedensten Orten durch. Sie waren
Leckerbissen pädagogischer Erkenntnisse und wurden in den 20er Jahren besonders
denen angeboten, die acht und mehr Jahre warten/mußten,
ehe sie die Kinder unterrichten durften. Viele haben damals weiterstudiert,
manche haben sich einen anderen Beruf gesucht und es auch da zu Amt und Würden
gebracht, die meisten aber sind dem Ruf ihres Herzens treu geblieben, und haben
auf die Annehmlichkeiten der Stadt verzichtet, um sich selbst im einsamen Dorf
entfalten zu können. Das Beispiel von Peter Josef Kreuzberg hat ihnen auch die
dunklen Stunden licht gemacht. „Gegen sich selbst streng und kritisch, duldsam
und großzügig gegenüber Kollegen und Kolleginnen im Amt, sachverständig und
selbst ein Meister des Unterrichts, gleichwohl ohne jede Überheblichkeit und
Besserwisserei, hat Peter Josef Kreuzberg als Mensch, Bürger, Lehrer und
Forscher Anerkennung und Anhänglichkeit bei vielen Schülern, Lehrern und
Mitbürgern gewonnen... Es war für diesen verdienten und selbstlosen Mann ein
schwerer Schlag, wegen sogenannter politischer
Unzuverlässigkeit durch vorzeitige Versetzung in den Ruhestand Ende Juli 1933
dem Amte entsagen zu müssen." Dann begann für ihn Pestalozzis Abendstunde
eines Einsiedlers: „Der Kreis des Wissens, durch den der Mensch in seiner
Lage gesegnet wird, ist enge, und dieser Kreis fängt nahe um ihn her, um sein
Wesen, um seine nahesten Verhältnisse an, dehnt sich von da aus, und muß bei jeder Ausdehnung sich nach diesem Mittelpunkt aller
Segenskraft, der Wahrheit, richten. Reiner Wahrheitssinn bildet sich in engen
Kreisen und reine Menschenweisheit ruhet auf dem
festen Grund der Kenntnisse seiner nächsten Verhältnisse und der ausgebildeten
Behandlungsfähigkeit seiner nähesten
Angelegenheiten". Am 23. Dezember 1939 erlag er einer
Lungenentzündung. Er wurde begnadet, den Zusammenbruch seines Vaterlandes und
den Abschied von' seinen Schul- und Lehreridealen nicht erleben zu müssen.
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Schulrat Franz Grafen |
Peter Josef Kreuzberg |
Wie ein
Wanderprediger und Volksmissionar zog damals Franz Grafen von Dorf zu Dorf, von
Schule zu Schule durch die gefährdeten Gefilde der Hocheifel
um den Aremberg, die Nürburg und den Hochkelberg. Er kam mit großem Gefolge. Er hatte den
Ortspfarrer angeschrieben, die Lehrer und die Bauernführer benachrichtigt, die
ihrerseits den Gesangverein um den einstimmenden und ausklingenden Rahmen
baten. Als die Wagenkolonne aus Adenau vorfuhr, war der Saal vollbesetzt und
die Luft zum Schneiden. Grafen hatte es nicht schwer, die Zuhörer in seinen
Bann zu zwingen. Er zeigte ihnen die Fragwürdigkeit irdischer Güter, ließ altes
Brauchtum wieder lebendig werden, stellte ihnen Menschen aus der Geschichte
vor, die mit größeren Schwierigkeiten fertig geworden waren und pries die
Freiheit auf eigener Scholle gegenüber der Abhängigkeit in der Industrie. Wie
damals, als die christlichen Missionare von Irland kommend den Germanen
predigten, sie tauften und ihnen zeigten, wie man die Felder bebaut,
Obstplantagen anlegt, Weingärten pflanzt und Häuser baut, so versuchte er die
Lehrer, für neue Aufgaben zu begeistern, wies auf die Verantwortung hin und
fand auch einige, die sich einzusetzen bereit waren.
Die
ländliche Volksbildung
In Aremberg — ein Beispiel für viele andere Dörfer mit
individueller Ausstrahlungskraft - wirkte damals „ein junger Frankfurter"
mit einer feinen Antenne für echte Kultur. Das Dorf mit seinen 300 Einwohnern hatte die
Durchschnittsgröße der Hocheifeldörfer. Der
Bildungswille war groß, ein Geschenk, das nicht auf alle Dörfer gleichmäßig
verteilt war. Daß ein Gemeindebürgermeister neben
seinem landwirtschaftlichen Betrieb und den Verwaltungsarbeiten noch Sinn für
Geschichte hatte, war schon ein Glücksfall, daß er
alte Akten entziffern konnte und sie archivierte, war ein Segen für die kommende
Generation.
Will Knippler erfüllte die verstaubten Folien mit Geist und
Blut. In die Burgruinen zauberte er die Ahnherrn der
jetzt in Belgien lebenden Herzöge von Arenberg. Mit
seiner leichten Feder hat er die Geschichte seines Dorfes in die Gegenwart
geholt. In seinem innersten Wesen vibrierte jede Faser von Musik. Sie ist sein
gutes Erbteil, sie gab auch seiner Schule die persönliche Note und
programmierte seinen Anteil an der Bildung des Landvolkes vor. Aus Stössellaute und Hohnerharmoniken bildete er ein
Schulorchester. Die Gelder dazu spendete den Kindern der Wald; von dem Erlös
des Sammelns konnten sie sich zusätzlich „in Schale werfen". So wurde eine
Schulwanderung zur Tournee. Über die Eifelberge gelangte die junge Wanderschar
nach Bad Bertrich. Hier boten sich die jungen Künstler an, einen Teil des
Kurkonzertes zu übernehmen; sie ernteten reichen Beifall und eine Spende von
400 RM (1929!). Zu Hause waren Schulorchester und Kinderchor integrierte
Bestandteile des gemischten Kirchenchores, und diese Künstler, jung und alt,
machten in der ganzen Gegend von sich Reden.
Am 10. Mai 1929
inspizierte das Kultusministerium, Berlin, und die Schulabteilung des
Regierungsbezirks, Koblenz, die Schulen und Fortbildungsschulen der Hocheifel, verschafften sich ein Bild von dem Stand der
ländlichen Volksbildung und waren von der lebendigen; Kulturgemeinde angetan. Sie
kamen von Insul, wo sie der Bürgermeister Müller mit
der wirtschaftlichen und kulturellen Lage der Hocheifel
bekannt machte, und die Arbeit der Volksbildner in Schule, Fortbildungsschule
und Volksbildung erwähnte. Ministerialrat Kaestner
äußerte sich sehr anerkennend.
Für die
Öffentlichkeit weniger sichtbar wirkte Lehrer Jakobs in Waldorf. Er gründete
das landwirtschaftliche
Casino, eine Genossenschaft und eine Beratungsstelle für landwirtschaftliche
Fragen. Die Obstbaumkulturen im Dorf weisen noch heute auf ihren Förderer hin.
Freunde und
Helfer
Ein
pädagogischer Wallfahrtsort für Akademiestudenten der „Pädagogischen Akademie
Bad Neuenahr und junge Lehrer wurde nach dem Kriege Karweiler,
wo der heute im Ruhestand lebende Oberlehrer Robert Krämer eine einklassige
Schule führte. Hier konnten die Kandidaten alles sehen, was sie brauchten; eine
durchdachte Unterstufenmethode, einen klaren Weg in der Oberstufenarbeit, eine
unverkrampfte Zeiteinteilung, eine sinnvolle Stillarbeit und eine Beherrschung
des Lehrers in Stimme und Stoff. Nur so ist es zu verstehen, daß Krämer für jeden Zeit hatte,
der mit ihm die Prüfungsarbeit besprechen wollte. Robert Krämer leitete daneben
die Pflichtarbeitsgemeinschaften der Junglehrer, nahm mit der
Regierungskommission die 2. Lehrerprüfung ab, prüfte mit seiner überlegenen
Ruhe die Kandidaten selbst und hat so manche Entgleisung verhindert. Sein Ruhm
wird noch heute laut verkündet, nicht zuletzt von denen, die viel bei ihm
gelernt haben und dann zu Amt und Würden gelangten. Heute schaut er, gewiß ohne Neid und Verbitterung, auf die, die mit höheren
Titeln und besserer Dotierung in die Tretmühle geraten sind. So pflegt er, wie
sein Vorgänger in der Junglehrerbetreuung, Rektor Jakob Rausch, einen
ausgeglichenen Ruhestand in dem beseligenden Gefühl, mehr als seine Pflicht
getan zu haben. Sie haben vielen Menschen einen Dienst erwiesen.
Die Sprache der
Bühne erreicht unmittelbar Geist und Herz der Zuschauer. Das wußten schon die alten Griechen, als sie ihre Tragödien und
Komödien in den Amphitheatern aufführten. Das wußte
auch der jetzige Konrektor und damalige Lehrer Walter Pfahl in Schuld, als er
nach dem Zusammenbruch 1946 in Schuld seine Stelle antrat. Aber man muß ein vom Theater Besessener sein, um in einer Zeit, wo
die Menschen um das nackte Leben kämpften, sich selbst die Aufgabe zu stellen,
Theater zu spielen. Man muß ein Zeuge seiner Idee
sein, um andere zu überzeugen und zu begeistern, und man braucht Freunde, die wie
er an ihre Sendung glauben. Da war Pfarrer Scherer, ein Freund und großer
Förderer, da zeigte sich seine Kollegin als eine begabte Bildgestalterin und
seine Frau als sein guter Kamerad. Kein Wunder, daß
die Jugend von Schuld und viele Erwachsenen das Werk zum Gelingen brachten. Schuld hatte auch beste
Voraussetzungen. Schon Lehrer Massing liebte das
Laienspiel und Walter Pfahl konnte an eine alte Tradition anknüpfen. Das
Kleinod von Schuld ist die alte Wallfahrtskapelle. Hierhin kamen Beter von nah
und fern. Hier bot sich eine natürliche Freilichtbühne von einer vorbildlichen
Gestaltung und Geschlossenheit inmitten einer Waldlichtung an. Im „Geiger
unserer lieben Frau" brachte die Jugend ihre Huldigung an Maria, im
Passionsspiel ihre Buße, in „Wilhelm Teil" ihren Freiheitswillen, im
„Krimi am Sonntagabend" ihr Entgegenkommen an den Geschmack von heute.
Auch heute noch bietet die Spielschar ein wertvolles Programm an.
Sie spielen
also immer noch, trotz Massenmedien und Motorisierung, sie rufen vom einsamer
Höhe ihre Bergpredigt/Trotz der oft zur Schau gestellten Überheblichkeit der
Zeitgenossen halten sie Glaube und Hoffnung hoch. Das ehrt sie und verlangt
unsere Hochachtung. Vielleicht aber spielen sie dann doch das Spiel, das noch
nicht geschrieben ist und noch den Dichter sucht, der dieser Gegenwart ihre
Deutung gibt:
E n d s t a t i o n B a b
y l o n .
Literatur:
Die zeitgemäße
Landschule, herausgegeben vom deutschen Institut für wissenschaftliche
Pädagogik. 1930. mit Aufsätzen von Dr. Meinen, Ministerialdirektor Kaestner. P. J. Kreuzberg, Franz Grafen, Dr. Schreiber.
Die ländliche Volksbildung in ihrer zeitgemäßen Gestaltung, herausgegeben P. J.
Kreuzberg, 1927 mit Aufsätzen von J. Antz, Schulrat
Kreuzberg, Theodor Seidenfaden, B. M. Steinmetz
Zeitungsausschnitte aus Boppard und Adenau